Rare Birds - Lou Mecca und Tal Farlow auf Blue Note

Veröffentlicht am 21. Oktober 2025 um 19:19

Lou Mecca Quartet

Blue Note BN 5067; 03/1955; Engineer: Rudy van Gelder; Producer: Alfred Lion

Lou Mecca – gtr; Jack Hitchcock – vib; Vinnie Burke – b; Jimmy Campbell – ds.

 

Side A:

1) All The Things You Are

2) You Go To My Head

3) Bernie’s Tune

 

Side B:

1) Stan’s Invention

2) The Song Is You

3) Just One Of Those Things

 

Heute kennt man Blue Note vor allem als das Label, das den Hard Bop geprägt und berühmt gemacht hat. Aber bis Mitte der 50er Jahre zeigte sich Labelchef Alfred Lion wenig dogmatisch in der Wahl der Musiker, die er aufnahm. So kam es zu zwei heute völlig obskuren Sessions mit Gitarristen, die mit Hard Bop wenig zu tun hatten und später für das Label und den Jazz allgemein keine Rolle mehr spielen sollten. 

 

Lou Mecca, 1926 geboren, begann seine Laufbahn als Musiker in den Bars seiner Heimat New Jersey. Richtig einträglich kann das nicht gewesen sein, denn nebenbei arbeitete er als Lehrer an einer Musikschule. Bei Blue Note wurde man 1954 auf ihn aufmerksam. Zunächst spielte er zwei Sessions als Sideman für Gil Mellé ein bevor er im März 1955 die Gelegenheit erhielt, mit einem eigenen Quartett aufzunehmen.

 

The Lou Mecca Quartet ist eine entspannte Angelegenheit. Die Besonderheit hier ist, dass Mecca sich nicht für das übliche Piano als Harmonieinstrument entschieden hat, sondern für ein Vibraphon, was dem Album eine ganz eigene Note gibt. Wie auch die Aufnahmen von Gil Mellé und J.R. Monterose steht die Musik stilistisch näher am Cool Jazz der Mulligan/Baker-Schule als am aufkommenden Hard Bop.

 

Das Album bietet überwiegend Standards, nur Stan’s Invention geht auf die Kappe von Stan Purdy, einem Kollegen Meccas aus New Jersey. Die Titel werden in der Regel von Gitarre und Vibraphon vorgestellt, oft mit dezentem Kontrapunkt. Die meisten Soli stammen von Mecca, aber anders als beim Album von Tal Farlow (s.u.) bleibt die Band hier nicht nur schmückendes Beiwerk. Vibraphonist Jack Hitchcock liefert die harmonische Basis, darf aber auf All the Things You Are, Bernie’s Tune und The Song Is You auch solieren.

 

Meccas Ton ist leicht gedämpft, mit runtergeregelten Höhen; sein Solospiel geschmeidig und flüssig, geprägt von langen Single-Note-Linien und sparsam gesetzten Akkorden. Hitchcocks Vibraphon klingt in der Tendenz zurückhaltend nüchtern und verleiht dem Album einen asketischen Charakter, der es deutlich von einer prototypischen Hard Bop Session wie Blakeys A Night At Birdland abhebt. Drummer Campbell und Bassist Burke agieren verlässlich und unaufdringlich, Burke erhält sogar einige Solospots, die er ziemlich souverän meistert.

 

Wie schon bei Lou Donaldson beobachtet, sorgt die durch das 10-Inch-Format bedingte kurze Spieldauer der Titel auch hier für ein knackig-konzises Album. Auf dem Weg zum Ende des Stückes verirrt sich kein Solist in einer endlosen Harmonieschleife, alle kommen schnell auf den Punkt.

 

Ich war fast schockiert als ich lesen musste, dass ein bekannter Streaming-Dienst heute, im Oktober 2025, für das Lou Mecca Quartet ganze drei (!) monatliche Hörer notiert, denn mit einer wirklichen Gurke haben wir es bei dieser Session nicht zu tun. Klar, sie ist auch kein Meilenstein, kann jedoch mit vielen zeitgenössischen Veröffentlichungen mithalten. Wie auch immer, der kommerzielle Erfolg blieb aus und es sollte 44 Jahre dauern, bis man wieder von Lou Mecca hörte. 1999 erschien ein Trio-Set, danach war endgültig Schluss.

 

****

 

Tal Farlow Quartet

Blue Note BN 5042; 04/1954; Engineer: Rudy van Gelder; Producer: Alfred Lion

Tal Farlow – gtr; Don Arnone – gtr; Clyde Lombardi – b; Joe Morello – ds.

 

Side A:

1) Lover

2) Flamingo

3) Splash

 

Side B:

1) Rock ’n’ Rye

2) All Through The Night

3) Tina

 

In den Liner Notes zu seinem eigenen Album nennt Lou Mecca (s.o.) den Gitarristen Tal Farlow einen prägenden Einfluss. Zufällig war Farlow fast genau ein Jahr zuvor, im April 1954, ebenfalls für Blue Note im Studio gewesen, um seine einzige Session als Bandleader für das Label aufzunehmen.

 

Talmage ‘Tal’ Farlow, 1921 geboren, begann im Alter von acht Jahren mit dem Gitarrespielen, mit Anfang 20 wurde er Profi. Er war Autodidakt und fand zum Jazz, nachdem er Charlie Christian gehört hatte. Bekannt wurde er Ende der 1940er-Jahre zunächst durch seine Arbeit in einem Trio mit Red Norvo und Charles Mingus. Seine ersten Aufnahmen für Blue Note machte er als Sideman von Gil Mellé und Howard McGhee. Kurz darauf durfte er als Leader ins Studio. Für diese Session rekrutierte er mit Don Arnone einen zweiten Gitarristen als harmonische Begleitung. Clyde Lombardi am Bass und Joe Morello am Schlagzeug, beide Veteranen der Mellé-Sessions, komplettierten das Quartett.

 

Mecca mag Farlow als Einfluss genannt haben, doch kann ich beim Hören der beiden Sessions keine ausgeprägte Ähnlichkeit feststellen. Farlows Ton ist heller, direkter, sein Spiel extrovertierter, fast rockig. Nicht wirklich aggressiv, aber ihm fehlt die Zurückhaltung von Mecca, der den musikalischen Raum auf seinem Album bereitwillig teilt.

 

In den Liner Notes zu dieser Session merkte Leonard Feather an: These performances were not designed... to weave ... multiple guitar spells. Und das tun sie auch nicht: Arnone bleibt ausschließlich in der Begleitrolle, die Soli gehören Farlow allein. Man versteht, warum Lou Mecca von Farlow beeindruckt war: Sein Spiel ist technisch sauber und rhythmisch sattelfest, seine Soli stecken voller Ideen und die Flageoletts auf dem lieblichen Flamingo sind elegant wie der Vogel selbst. Dennoch schade, dass diese Platte vor allem ein Schaufenster für Farlow ist, ein bisschen Abwechlung bei den Soli hätte der Dramaturgie nicht geschadet. Die Begleitgruppe, Arnone eingeschlossen, hätte das sicher hinbekommen, sie spielt hier straff und konzentriert.

 

Auch Farlow sollte nie mehr für Blue Note ins Studio gehen und im Jazz eine Randfigur bleiben. Aber anders als bei Mecca existieren von ihm weitere Aufnahmen. In den 50ern spielte er Titel ein wie The Swinging Guitar of Tal Farlow, die ihn als Gitarrenikone zu vermarkten suchten. In den 60ern nahm er nur sporadisch auf, in den 70ern feierte er mit einigen Platten für das Concord Label ein bescheidenes Comeback.

 

Musik: ***1/2 bis ****

 

Sound: Beide Sessions bieten ein gut sortiertes Klangbild mit ausreichend Raum für jedes Instrument

 

Verfügbarkeit auf Vinyl: Nur gebraucht und im regulären Handel selten, über Discogs ab ca. 30€ zu haben.

 

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