Introducing Johnny Griffin vs. J.R. Monterose

Veröffentlicht am 10. Oktober 2025 um 16:00

Johnny Griffin – Introducing Johnny Griffin (Chicago Calling)

Blue Note BLP 1533; 04/1956; Engineer: Rudy van Gelder; Producer: Alfred Lion

Johnny Griffin – ts; Wynton Kelly – p; Curly Russell – b; Max Roach – ds.

 

Side A:

1) Mil Dew

2) Chicago Calling

3) These Foolish Things

4) The Boy Next Door

 

Side B:

1) Nice And Easy

2) It’s Alright With Me

3) Lover Man

 

 

J.R. Monterose

Blue Note BLP 1536; 10/1956; Engineer: Rudy van Gelder; Producer: Alfred Lion

Ira Sullivan – tp; J.R. Monterose – ts; Horace Silver – p; Wilbur Ware – b; „Philly“ Joe Jones – ds.

 

Side A:

1) Wee-Jay

2) The Third

3) Bobbie Pin

 

Side B:

1) Marc V

2) Ka-Link

3) Beauteous

 

Im Juli 1956 und Januar 1957 veröffentlichte Blue Note zwei Debüts von Tenorsaxofonisten, die so unterschiedliche Ansätze verfolgen, dass ich sie hier gegenüberstellen möchte. Introducing Johnny Griffin (BLP 1533) geht als straighte Hardbop-Scheibe durch, bei J.R. Monterose (BLP 1536) sieht die Sache etwas komplizierter aus. Aber der Reihe nach.

 

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Als Johnny Griffin Introducing aufnahm, war er erst 28 Jahre alt, blickte aber bereits auf eine 10-jährige Musikerkarriere zurück, hauptsächlich in seiner Heimatstadt Chicago. Dort hatte er reichlich Gelegenheit, an seiner Technik zu feilen und das hat er wohl auch getan, denn auf Introducing haut er ein entfesseltes Lick nach dem anderen mit einer phänomenalen Präzision raus. Mit dieser Platte setzte er nach seiner Ankunft in der hart umkämpften New Yorker Jazz-Szene sicher eine echte Duftmarke, aber für den Hörer sind die zahlreichen Hochgeschwindigkeitsmomente in Griffins Spiel teilweise herausfordernd. Das Attribut anstrengend wäre vielleicht etwas zu hoch gegriffen, aber wenn Griffin mit 300 bpm oder so durch Mil Dew und It’s Alright With Me brettert, dann möchte man ihm fast zurufen, den Fuß ein wenig vom Gas zu nehmen. Selbst auf ruhigeren Nummern wie Lover Man packt er gerne mal 20 Noten in einen Takt, wo andere sich mit der Hälfte begnügen.

 

Abgesehen vom Tempo, bei dem wirklich kein anderer mir bekannter Tenorsaxofonist der 50er mithalten kann, besitzt Griffin einen markanten, kräftigen Ton, der ziemlich unverwechselbar ist. Seine Soli bieten eher wenig motivische Entwicklung, vielmehr bedient er sich aus einem Arsenal von vorgestanzten Bop-Licks mit vielen chromatischen Momenten, die er kunstvoll aneinanderreiht. Seine erstklassig besetzte Begleitband mit Wynton Kelly am Piano, Curly Russell am Bass und Max Roach bleibt genau das – ein begleitendes Ensemble, das in erster Linie dafür verantwortlich ist, eine Art musikalische Leinwand aufzuspannen, auf der Griffin seine Ideen entwirft. Kelly hat ein paar nette bluesige Momente, aber echte dialogische Spannung zwischen gleichberechtigen Solisten entsteht hier nicht.

 

Die Stücke sind repräsentativ für eine typische Hard-Bop-Session der Mittfünfziger – eine Mischung von Standards, Eigenkompositionen und dem unvermeidlichen Blues, hier Nice And Easy. Nichts Weltbewegendes, aber durchweg unterhaltsam und es ist schwer, Griffins Feuer nicht zu mögen.

 

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Das erste und einzige Album, das der Saxofonist Frank Anthony Peter Vincent Monterose, Jr., kurz J.R. Monterose, für Blue Note eingespielt hat, gilt als unterschätztes Juwel im Katalog des Labels und ist ein ganz anderes Kaliber. Zunächst einmal steht Monterose mit Ira Sullivan an der Trompete ein zweiter Bläser zur Seite, was in den Themen ein dichteres Ensemblespiel und fast kammermusikalische Momente mit gegenläufigen Bewegungen der beiden Bläserstimmen ermöglicht. In diesen Momenten steht das Album auch dem Cool Jazz der Westküste um Leute wie Gerry Mulligan und Chet Baker näher als dem Hard Bop der Ostküste, obwohl die Rhythmusgruppe Silver/Ware/Jones absolute Hardbop-Royalty ist.

 

Monteroses Ton ist dunkler, rauer als der von Griffin und erinnert stellenweise an Sonny Rollins. Anders als Griffin auf Introducing dominiert Monterose zu keiner Zeit das Geschehen, die Platte ist insgesamt stärker von Zusammenspiel und Interaktion geprägt. Das gilt nicht nur für die sorgfältiger durchkomponierten Themen und Arrangements, sondern spiegelt sich auch in der Verteilung der Soli wider. Auf The Third etwa darf Silver das erste Solo übernehmen, bevor Monterose drei Chorusse spielt. Es folgen Ware mit einem kurzen Bass-Solo und Sullivan mit weiteren drei Chorussen. Über die gesamte Platte sorgt die variable Gestaltung der solistischen Räume für eine gewisse Abwechslung, was den Hörgenuss merklich steigert.

 

Für die Musik auf J.R. Monterose bediente man sich bewusst nicht aus dem Great American Songbook. Drei der Titel stammen vom Leader selbst, Drummer Philly Joe Jones steuerte Ka-Link bei, Horace Silver brachte Donald Byrds The Third sowie Beauteous von Paul Chambers mit zur Session. Während es einerseits schön ist, frisches, unverbrauchtes Material zu hören, droht andererseits die Gefahr, dass die neuen Kompositionen neben etablierten Gassenhauern etwas blass wirken. Ich will gar nicht sagen, dass das hier zwingend der Fall ist, aber ich empfinde die Musik auf J.R. Monterose im Vergleich zu Introducing als akademischer. Beide Ansätze haben ihren Reiz. Zugespitzt formuliert: Introducing Johnny Griffin bedient den Bauch, J.R. Monterose den Kopf. Qualitativ bewegen sie sich auf ähnlichem Niveau, doch Alben wie Introducing sollte man in den folgenden Jahren bei Blue Note regelmäßig finden, vom Cool Jazz beeinflusste Aufnahmen dagegen wurden seltener. Schade eigentlich, denn egal, ob J.R. Monterose nun ein Juwel ist oder nicht – es sorgte für Abwechslung im Katalog und hat für mich in diesem Vergleich sogar leicht die Nase vorn.

 

Musik: ***1/2 (Griffin); **** (Monterose)

 

Sound: 1956 klangen einige RvG-Aufnahmen schon richtig gut. Das chronologisch ältere Introducing... kling satt und punchy, J.R. Monterose ist im Vergleich etwas belegt, dennoch absolut hörbar.

 

Verfügbarkeit auf Vinyl: Introducing Johnny Griffin ist gerade als Teil der Blue Note 80 Edition mal wieder neu aufgelegt worden und leicht zu finden. J.R. Monterose gibt’s derzeit nur gebraucht ab ca. 40€.

 

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