Thelonious Monk Quartet – Misterioso
Riverside RLP-1190; 08/1958; Engineer: Ray Fowler; Producer: Orrin Keepnews
Johnny Griffin – ts; Thelonious Monk – p; Ahmed Abdul-Malik – b; Roy Haynes – ds
Side A:
1) Nutty
2) Blues Five Spot
3) Let’s Cool One
Side B:
1) In Walked Bud
2) Just a Gigolo
3) Misterioso
Mein Blick auf Thelonious In Action war der Anlass, mich noch einmal intensiver mit Misterioso zu beschäftigen. Im Gegensatz zu In Action wurde ich lange Zeit mit der Platte nicht richtig warm, obwohl beide Alben vom Gig im Five Spot Café am 7. August 1958 stammen. Am Cover kann es nicht gelegen haben, denn auch das von Misterioso ist einen zweiten Blick wert. Designer Paul Bacon griff hier nicht zu einem Session-Foto, sondern zu einem enigmatischen Gemälde des italienischen Surrealisten Giorgio de Chirico (The Seer). Vermutlich eine Anspielung auf das Geheimnisvolle in Monks Musik und Persönlichkeit.
Stichwort Musik: Inzwischen habe ich Misterioso mehrmals komplett durchgehört und musste meine Meinung zumindest in Teilen revidieren. Persönlich würde ich noch immer zu Thelonious In Action greifen, wenn ich nur eine Platte haben könnte, aber auch Misterioso hat definitiv seine Momente.
Die finde ich meistens auf den längeren Stücken. Da sind zum Beispiel Griffins lange und vollkommen unbegleitete Passagen auf Blues Five Spot und Let’s Cool One, denen man gebannt zuhört, weil man nie sicher sein kann, ob nicht irgendwann der Flow seiner Ideen versiegt. Aber das tut er nicht, und besonders auf Let’s Cool One erntet der Saxofonist am Ende seines Solos spontanen Szenenapplaus des Publikums.
Und Monk? Laut den Liner Notes von Produzent Orrin Keepnews spielte er an diesem Abend, befeuert durch ein begeistertes Publikum, außergewöhnlich inspiriert. Mag sein, verbindlich beurteilen kann ich das nicht. Auf jeden Fall ist sein Spiel auch hier so nonkonformistisch und individuell wie seine Kompositionen. Wie er Melodien umkreist, auseinander nimmt, an unerwarteten Stellen krachende Notencluster setzt und mit Pausen spielt, macht ihm keiner nach. Besonders schön sieht man das bei seinem Solo auf In Walked Bud und in seiner Interpretation von Just a Gigolo, die sich irgendwo zwischen herber Melancholie und Parodie zu bewegen scheint.
Einem Kritiker ist das Titelstück Misterioso nicht rätselhaft („mysterious“) genug; für ihn ist die Version auf Sonny Rollins Vol. 2 der Maßstab. Ich will das nicht bestreiten: Sonny Rollins und J. J. Johnson spielen im Vergleich disziplinierter und nüchterner als Griffin, der auf diesem Stück mit seinem sonst so mitreißenden Elan möglicherweise etwas übers Ziel hinausschießt. Aber wer will ihn dafür kritisieren? Wir sind hier auf einem Live-Gig, nicht bei einer sorgfältig vorbereiteten Studio-Session für Blue Note – und im Club wirkt Griffins ansteckende Leidenschaft sogar besser.
Musik: ****1/2
Sound: Ansprechende Live-Aufnahme von Riverside-Tontechniker Ray Fowler. Reichlich Punch, farbstarker Instrumentenklang, nur der Bass ist etwas undifferenziert.
Verfügbarkeit: Ende 2025 in mehreren Ausgaben zu bekommen. Preislich unten liegen diverse farbige Versionen von Second Records für deutlich unter 20 €, Waxtime bietet das Original-Cover und einen Bonus-Track für rund 20 €; die qualitative und preisliche Spitze markiert die Ausgabe von Analogue Productions für knapp 50€.
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