Thelonious Monk Quartet – Thelonious in Action
Riverside RLP-1190; 08/1958; Engineer: Ray Fowler; Producer: Orrin Keepnews
Johnny Griffin – ts; Thelonious Monk – p; Ahmed Abdul-Malik – b; Roy Haynes – ds
Side A:
1) Light Blue
2) Coming on the Hudson
3) Rhythm-a-ning
4) Epistrophy (Theme)
Side B:
1) Blue Monk
2) Evidence
3) Epistrophy (Theme)
Thelonious In Action war eine meiner frühen Jazz-LPs und meine erste von Monk. Sie gehörte zu jenen Platten, bei deren Kauf ich mich von Äußerlichkeiten leiten ließ. Ich hatte keinerlei Ahnung von der Musik, aber das von Riversides damaligem Chefdesigner Paul Bacon gestaltete Cover fand ich beeindruckend. Die leicht irreguläre, verspielte Typografie suggerierte Bewegung und Rhythmus, das Rot Hitze und Temperament, der markante Schwarz-Weiß-Kontrast Drama. Das Sessionfoto mit Monk, Griffins Silhouette und einer Pinnwand voller kultureller Paraphernalien wie Flyern und Postern lud dazu ein, im Geist den Club zu betreten. Was ich nicht wissen konnte: das Cover spiegelte die Musik auf der Platte sehr gut wider.
Wie schon bei Larry Young, eigentlich noch mehr, reicht auch bei Monk ein flüchtiger Blick auf die Titel um zu ahnen, dass wir es hier nicht mit geradlinigem Mainstream zu tun haben: Evidence. Epistrophy. Rhythm-a-ning. Eh?
Und tatsächlich ist Monk anders. So anders, dass er – die These wage ich hier mal – der Jazzmusiker mit dem höchsten Wiedererkennungswert überhaupt ist. Kein Pianist hat einen Anschlag wie Monk, hart, kantig, perkussiv. Man erkennt ihn sofort, genau wie seine Kompositionen: sie stecken voller seltsamer Intervalle, haben bizarre Melodien und schauerlich klingende Dissonanzen, aber sporadisch auch kurze Abschnitte von herber Eleganz oder, im Falle seiner Balladen, sogar Schönheit. Sie machen überraschende Pausen und unvorhersagbare chromatische Bewegungen und wirken immer, als würden sie irgendwie stolpern und aus dem Gleichgewicht geraten. Aber: egal, wie sehr sie straucheln, sie fangen sich wieder. Jedes Mal!
Was die Titel auf Thelonious in Action angeht, so sind sie von eher moderater Schrägheit. Leicht bizarr, aber niemals wirklich abschreckend dissonant, also nicht schlecht für einen Einsteiger wie mich damals. Light Blue, Coming on the Hudson und Blue Monk schlendern gemächlich durch ihre melodischen Labyrinthe, Evidence zieht das Tempo etwas an, und Rhythm-a-ning, das „Stück, das von alleine swingt“ (O-Ton Monk, der damit recht hat), ist der hochoktanige Burner der Platte. Das etwas sperrigere Epistrophy taucht am Ende jeder Seite als rund anderthalbminütiges Thema auf und entlässt den Zuhörer in eine kleine Pause.
Ein paar Worte zur Band: Im Jahr 1957 hatte Monk für eine Weile ein reguläres Quartett mit John Coltrane am Tenorsax, erst Wilbur Ware, dann Ahmed Abdul-Malik am Bass und Shadow Wilson am Schlagzeug. Trane folgte 1958 dem Lockruf des Goldes und schloss sich der Combo von Miles Davis an; auch Wilson ging. Es war eine Zeit des Umbruchs. Wilson wurde durch Roy Haynes ersetzt, für die Gigs im Five Spot Café rekrutierte man Johnny Griffin, der jedoch ebenfalls eine Übergangslösung bleiben sollte. Anfang 1959 kam Charlie Rouse und blieb bis 1970.
Wie so oft im Leben gibt es auch bei Thelonious in Action Leute, die etwas zu meckern haben. Griffin wagt sich harmonisch nicht so weit vor wie Coltrane! Griffin dringt nicht so tief in Monks Logik ein wie Charlie Rouse! Sicher, mag alles sein, ist am Ende aber nicht wirklich ausschlaggebend für den Reiz des Albums. Zweifellos hatte Coltrane bei Monk exquisite Momente, wie auf Ruby, My Dear oder Monk’s Mood, aber andererseits können seine Tonkaskaden den Zuhörer bisweilen überwältigen. Vielleicht könnte man das von Griffin auch behaupten, doch im Kontext dieses Konzertes wirkt er nicht überdreht, sondern elektrisiert. Er war ein virtuoser Instrumentalist mit einem riesigen Arsenal musikalischer Phrasen, die er endlos variieren und zu immer neuen Linien verbinden konnte. Als Bandleader konnte man ihn lange solieren lassen, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Luft ausging. Auf Thelonious in Action gibt Monk ihm diese Freiheit. Griffin dankt es ihm und spielt wie entfesselt.
Monk selbst spielt an diesem Abend seine typischen Soli, die zur Hälfte aus Pausen zu bestehen scheinen, unterbrochen von, so mein Eindruck damals, wie betrunken taumelnden, absteigenden Linien und mächtigen Notenclustern. Fand ich beim ersten Kontakt (und finde es auch heute noch) großartig; so etwas hatte ich noch nirgendwo gehört. Und trotz der zahlreichen rhythmischen Stolperer entwickelte Monks Musik einen mächtigen Swing.
Die Dramaturgie der Stücke bleibt während des Konzertes mehr oder weniger konstant. Nach dem Thema spielt das Saxophon das erste Solo, gefolgt vom Piano. Bei den kürzeren Stücken geht es danach zurück zum Thema, bei den längeren, hier sind das Rhythm-a-ning, Blue Monk und Evidence, dürfen am Ende auch noch die Männer aus der Rhythmusabteilung ran.
Während Abdul-Malik am Bass solide Arbeit leistet, mischt Roy Haynes mit seinen kleinen Fills und Akzenten auf der Bassdrum die Songs gehörig auf. Die Hauptsolisten des Abends sind jedoch Monk und Griffin, dessen Drive und Explosivität der Musik einen kräftigen Schuss Adrenalin injizieren. Was im Studio auf Dauer ermüden könnte, erweist sich live im Club als echte Stärke. Ich mag auch einige der späteren Live-Aufnahmen von Monks Quartett mit Charlie Rouse, aber kaum eine entwickelt einen solchen Zug wie diese hier. Wirklich coole Scheibe!
Musik: ****1/2
Sound: Ansprechende Live-Aufnahme von Riverside-Tontechniker Ray Fowler. Reichlich Punch, farbstarker Instrumentenklang, nur der Bass ist etwas undifferenziert.
Verfügbarkeit: Ende 2025 als billige Ausgaben (um die 20€, teilweise darunter) von Second Records zu haben. Coole Farben, aber keine Liner Notes. Die Version von Analogue Productions ist erste Sahne, kostet aber knapp 50€. Amerikanische OJC-Pressungen sind auch gut und gebraucht für ca. 30€ zu bekommen.
P.S.: Die Session im Five Spot Café warf genug Material für zwei Alben ab. Wer Thelonious in Action mag, kann auch bei Misterioso (RLP-1133) bedenkenlos zugreifen. Qualitativ gibt es keinen echten Unterschied – welche Platte man bevorzugt, hängt davon ab, welche Stücke man lieber hört. Misterioso bietet die bekannteren Nummern, aber ich habe eine Schwäche für die seltener gespielten Light Blue und Coming on the Hudson.
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