Sonny Rollins - Way Out West

Veröffentlicht am 13. Dezember 2025 um 00:19

Sonny Rollins – Way Out West

Contemporary S7530, 03/1957, Engineer: Roy DuNann, Producer: Lester Koenig

Sonny Rollins – ts; Ray Brown – b; Shelly Manne – ds

 

Side A:

1) I’m An Old Cowhand

2) Solitude

3) Come, Gone

 

Side B:

1) Wagon Wheels

2) There Is No Greater Love

3) Way Out West

 

Im März 1957 gastierte die Band von Max Roach in Kalifornien – für den damals 25-jährigen Sonny Rollins der erste Besuch an der Westküste. Lester Koenig von Contemporary Records fragte ihn, ob er während des Aufenthalts nicht ein Album für das Label aufnehmen wolle. Was Repertoire und Besetzung anging, ließ er Rollins völlig freie Hand.

 

Und Rollins hatte nicht nur Lust, sondern auch eine Idee. In einem Interview zu der Platte erklärte er später, dass er schon als Kind ein Herz für Western hatte. Ihm schwebte Musik vor, die das widerspiegelte:

 

It’s a tribute to independence and being self-sufficient, which is what the West really means, at least in Westerns. I was so moved by the West that I wanted to record songs that expressed how I felt and how much those movies I saw as a kid meant to me.

 

Und weil er musikalisch etwas anderes im Sinn hatte als bei seinen bisherigen Sessions, dachte er auch bei der Besetzung in neuen Kategorien:

 

I wanted to use Shelly and Ray because I was out West and they were based out West. They would just go better with the whole surroundings.

 

Das Ergebnis ist Way Out West und es spricht für Rollins’ künstlerische Vision. Er wusste nicht nur genau, was er wollte, sondern auch, was er tat, als er sich die Dienste von L.A. Session-Drummer Shelly Manne und Oscar Petersons Bassist Ray Brown sicherte. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie das Album mit anderer Besetzung geklungen hätte, doch die Atmosphäre von Way Out West wirkt so stimmig, dass man sich kaum ein anderes Trio vorstellen kann. Das Album vermittelt durchgehend das Gefühl eines echten Kollektivs. Klar, die urprünglichen Ideen stammen von Rollins, aber Manne und Brown greifen sie auf, kommentieren und formen sie, statt bloß ein Forum für den Leader zu schaffen.

 

Produzent Lester Koenig berichtet in den Liner Notes, dass die Umstände der Session alles andere als ideal waren. Da Brown und Manne abends noch eigene Gigs hatten, traf man sich um 3 Uhr morgens im Studio. Rollins hatte mit beiden noch nie gespielt und musste ihnen seine Vorstellungen zunächst erklären. Aber man fand schnell zueinander und arbeiteten die Stücke gemeinsam aus. Morgens um 7 Uhr war die Hälfte des Albums im Kasten und, so Koenig, Manne, Brown und Rollins hatten ihren Groove gefunden; die letzten zwei Stücke des Albums waren in einer halben Stunde eingespielt.

 

Ein paar Worte zum Material. I’m An Old Cowhand, Wagon Wheels und die Eigenkomposition Way Out West sind die Stücke mit dem offensichtlichen Bezug zum Wilden Westen (Rollins: I was really living out my Lone Ranger thing.) Dazu gibt es mit Ellingtons Solitude und There Is No Greater Love zwei Balladen und dem hard-boppigen Come, Gone noch einen schnelleren Swinger.

 

Die Abwesenheit eines Harmonieinstrumentes verleiht Way Out West eine besondere Note. Passend zum Thema atmet auch das Album den Geist von Freiheit und Unabhängigkeit. Befreit von einem harmonischen Korsett begibt sich Rollins in allen Stücken auf ausgedehnte solistische Entdeckungsreisen, während Manne und Brown – um im Bild zu bleiben – dafür sorgen, dass zu Hause der Ofen nicht ausgeht. Aber sobald Rollins zurückkehrt, zieht einer von ihnen los. Dabei ist Browns Bass gleichzeitig kraftvoll und mühelos agil, seine Soli sind so flüssig und locker, schön zu hören auf I'm An Old Cowhand und Solitude, dass die meisten zeitgenössichen Bassisten daneben fast hölzern wirken.

 

Und Shelly Manne? Hier ist jemand, der die Drums im wörtlichen Sinne spielt, er ist nicht nur Taktgeber, sondern eine eigenständige Stimme. Pferde im gemächlichen Schritt werden mit Holzblöcken und Rimshots dargestellt und seine Soli transportieren musikalischen Sinn, statt nur der künstlerischen Selbstdarstellung zu dienen. Normalerweise klingt für mich ein Schlagzeugsolo wie das andere, nicht auf Way Out West. Im Titelstück liefert Manne ein Solo, das so lässig entspannt ist wie die gesamte Platte. Bewegung und Pause wechseln immer wieder und es entsteht der Eindruck einer kleinen Expedition. Man verfolgt das Geschehen wie ein Zaungast und ist gespannt, was als Nächstes passiert. Das Solo endet mit einer eigenartigen kleinen Figur auf der Snare, die Rollins dann bei seinem Einsatz aufgreift.

 

Neben der thematischen Attraktivität des Materials und der individuellen Klasse der Beteiligten sind es besonders solche kleinen Momente der Interaktion, die Way Out West aus der Masse der Hard-Bop-Sessions der 1950er Jahre hervorheben. Im demokratischen Austausch der Ideen spürt man den Respekt und die Wertschätzung der Musiker untereinander.

 

Fazit: Rollins profitiert von Freiheit und Mitspielern, die auf Augenhöhe agieren. Das Resultat ist eine außerordentlich inspirierte Session, für mich auf einer Stufe mit Saxophone Colossus

 

Musik: *****

 

Sound: Frühe Stereo-Aufnahme mit ausgeprägter Rechts-/Linksverteilung der Instrumente, aber die Klangfarben sind phänomenal. Roy DuNann, der Tontechniker von Contemporary, mag nicht so bekannt sein wie RvG, wusste aber definitiv auch, wie man eine Jazz-Combo aufnimmt.

 

Verfügbarkeit: Ende 2025 in mehreren Versionen zu haben. Für Einsteiger gibt es Ausgaben von Jazz Images (Vorsicht: alternatives Cover!) und Wax Time für ca. 20€. Ausgaben von Craft und Acoustic Sounds kosten um die 40€, wobei ich meine Craft-Ausgabe liebe. Klingt extrem vollmundig, knistert nicht und hat ein schönes Tip-On Cover. Echten Gourmets bietet Analogue Productions eine Doppel-LP (2 x 45 RPM) für satte 230 Ocken an.

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