Sonny Rollins Volume 1

Veröffentlicht am 8. Dezember 2025 um 11:41

Sonny Rollins

Blue Note BLP 1542, 12/1956, Engineer: Rudy van Gelder, Producer: Alfred Lion

Sonny Rollins – ts; Donald Byrd – tp; Wynton Kelly – p; Gene Ramey – b; Max Roach – ds;

 

Side A:

1) Decision

2) Bluesnote

3) How Are Things In Glocca Morra?

 

Side B:

1) Plain Jane

2) Sonnysphere

 

1956 war für Sonny Rollins ein Jahr fieberhafter Aktivität. Saxophone Colossus – seinerseits bereits die dritte Aufnahme des Jahres – entstand im Juni, es folgten zwei weitere Alben für Prestige im Oktober (Rollins Plays For Bird) und im Dezember (Tour De Force). Anschließend wechselte Rollins zu Blue Note und nahm mit einem klassischen Hard-Bop-Quintett noch im selben Monat, am 22. Dezember 1956, Sonny Rollins Volume I auf. Zur Gruppe gehörten der junge Donald Byrd an der Trompete, Wynton Kelly am Klavier, Gene Ramey am Bass und Max Roach am Schlagzeug.

 

Der Kontrast zu Saxophone Colossus ist deutlich. Sonny Rollins Volume I ist nicht übel, aber hat, anders als Colossus, die Atmosphäre einer routinierten Hard-Bop-Aufnahme nach Schema F, obwohl Rollins bei Blue Note natürlich die üblichen ein bis zwei bezahlten Tage für Proben genossen haben dürfte. Leonard Feather nennt die Session in den Liner Notes unpretentious, und das ist sie auch. Die Addition von Donald Byrds Trompete als zweite Lead-Stimme bringt der Musik keinen wesentlichen Mehrwert, vielleicht abgesehen von etwas mehr Farbe in den Ensemblepassagen.

 

Ich finde, dass Seite 1 das interessantere Material bietet. Decision ist ein Blues in Moll, aber einer mit Haken. Zum einen besitzt er ein merkwürdiges, wiederkehrendes Zweiton-Motiv, das klingt, als würde die Melodie kurz festhängen, bevor sie in eine länger gehaltene Phrase übergeht. Außerdem ist es ein 13-taktiger Blues, was mir ehrlich gesagt nie aufgefallen war, bis ich es in den Liner Notes las – und was vermutlich eher Rollins’ Freude am Unkonventionellen als einer inneren Notwendigkeit der Komposition geschuldet ist. Bluesnote ist ein weiterer Blues, aber kaum mehr als ein boppiges Vehikel zum ausgiebigen Solieren. How Are Things In Glocca Morra ist die unvermeidliche Ballade des Albums. Rollins hatte die Gabe, selbst die banalste Melodie tiefgründig klingen zu lassen. Ich traue mich kaum, das zu schreiben, aber ich finde Glocca Morra, eine echte Schnulze, hier überraschend akzeptabel und es schadet nicht, dass Rollins der einzige Solist bleibt.

 

Aber auch Byrd und Kelly haben ihre Momente. Byrd gefällt mir besonders auf Decision gut – ein Stück, das die Art Hard Bop vorwegnimmt, die er in den folgenden Jahren für Blue Note prägen sollte, und in dem er sich hörbar wohlfühlt. Das gilt auch für Kelly, einen bluesigeren Spieler als Flanagan, der enorm swingen konnte, aber etwas von Flanagans Eleganz und delikater Zartheit vermissen lässt, die ich bei You Don’t Know What Love Is so mochte.

 

Auf Seide 2 gibt’s zwei lange Stücke, die aber, wie schon Bluesnote, kaum mehr sind als ein Forum für ausgiebige Beiträge der Solisten. Sowohl Plain Jane als auch Sonnymoon sind thematisch weniger markant als alles auf Saxophone Colossus. Sonnymoon hat eigentlich kaum ein Thema im engeren Sinn, wirkt aber – vielleicht wegen des höheren Tempos – wacher und weniger routiniert. Dennoch kann ich den Gedanken nicht verdrängen, dass nach einer derart intensiven Aufnahmephase Rollins’ kreative Säfte nicht mehr ganz so reich flossen.

 

Fazit: Sonny Rollins Volume 1 ist kein schwaches Album, dafür sorgt neben Alfred Lions bekannter Pingeligkeit bei der Qualitätskontrolle auch die Klasse der Musiker, die selbst dann noch gute Arbeit abliefern, wenn sie mal ihren Autoplioten einschalten. Wer auf Donald Byrd in label-üblichen Hard-Bop-Quintetten steht wird also gut bedient, aber die olympischen Höhen von Saxophone Colossus werden hier nicht erreicht.

 

Musik: ***1/2

 

Sound: sehr starker Mono-Sound von RvG, die Bezeichnung ST-81542 (ST steht für Stereo) auf meiner Ausgabe ist irreführend.

 

Verfügbarkeit: Ende 2025 in zwei Ausgaben erhältlich: schon für ca. 20€ gibt es eine Ausgabe von Culture Factory, wer 10€ drauflegt, kriegt das Album in Blue Notes Classic Vinyl Series. Beide vermeiden das um 90° gedrehte Foto meiner französischen Ausgabe aus den 1980ern.



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