Kenny Dorham - Quiet Kenny

Veröffentlicht am 5. Dezember 2025 um 15:20

Kenny Dorham – Quiet Kenny

Prestige/New Jazz 8225, 11/1959, Engineer: Rudy van Gelder, Producer: Bob Weinstock

Skenny Dorham – tp; Tommy Flanagan – p; Paul Chambers – b; Art Taylor – ds;

 

Side A:

1) Lotus Blossom

2) My Ideal

3) Blue Friday

4) Alone Together

 

Side B:

1) Blue Spring Shuffle

2) I Had The Craziest Dream

3) Old Folks

4) Mack The Knife

 

Und dann machen die da Tüdülüdü (hält mit beiden Händen ein Luftsaxofon vor den Körper, bewegt Arme und Kopf auf und ab, dabei die Klappen des Saxofons bedienend) und alles ist ein wirres Durcheinander. Alles geht wild auf und ab. Schrecklich!

 

So sprach eine alte Freundin von mir, und die Musik, die sie auf diese Weise darstellte und kommentierte, war natürlich Jazz. Und ich? Ich war derjenige, dem man einhämmern musste, dass er sich geschmacklich mächtig verirrt hatte, weil er offensichtlich von selbst nicht darauf kam. Kakophones Gewusel wie Jazz At Massey Hall oder Donna Lee auf dem Album Serenade To A Bus Seat von Clark Terry (Clark Terror!) konnte man doch unmöglich gut finden? So dachten in meinem Freundeskreis einige. Jazz hatte, was man heute ein Image-Problem nennt…

 

Aber genau wie der Rest der Bevölkerung waren auch die Jazzer divers. Nicht alle machten immer nur Tüdülüdü: Kenny Dorham zum Beispiel, Trompeter, Ex-Jazz-Messenger, ehemaliges Mitglied des Max Roach Quintetts und einer der heimlichen Stars des Hard Bop, hatte einen butterweichen, lyrischen Ton und ein Faible für Romantik, das er jedoch im Rahmen seiner zahlreichen Projekte als Sideman nicht immer ausleben konnte. Nach Alben für Blue Note und Riverside spielte er im Jahr 1959 eine Platte für New Jazz (ein Sub-Label von Prestige) ein, die heute zu seinen klassichen Aufnahmen zählt: Quiet Kenny.

 

Der Titel trifft den Geist der Aufnahme. Aber keine Sorge, es reiht sich nicht Schnulze an Schnulze. Vielmehr ist die Atmosphäre der Session gemeint. Um die Liner Notes zu zitieren: the playing is quiet… the feeling is quiet… More tempo, like more volume, is no indication of feeling (Jack Maher).

 

Quiet bedeutet hier also eher Zurückhaltung als Langsamkeit. Um dieses Gefühl zu erzeugen, bestellte Dorham ein Quartett aus gestandenen Session-Assen ohne Egoprobleme ins Studio: das Piano spielte der diskret-elegante Tommy Flanagan, den wir schon von Saxophone Colossus kennen, am Bass arbeitete Paul Chambers (Miles Davis u.a.) und mit Art Taylor saß jemand an den Trommeln, der solide swingen konnte ohne die Band permanent pushen zu müssen.

 

Die Rechnung ging auf. Quiet Kenny ist ein Album, das über die Jahrzehnte immer wieder neu aufgelegt wurde und nur selten vergriffen war, obwohl Dorham eher in der zweiten Liga des Jazz spielte (kommerziell, nicht künstlerisch). Sein anhaltender Erfolg ist sicher auch dadurch bedingt, dass es eben nie laut und aufdringlich wirkt, sondern sich jederzeit tadellos benimmt, wie ein zuvorkommender Gast auf einer Party. Dorhams Spiel bewegt sich, ähnlich wie das von Flanagan, überwiegend im mittleren Register seines Instruments. Nur ganz sporadisch klettert er weit nach oben, aber auch dann wirkt sein Ton nie schrill oder angestrengt, sondern bleibt kontrolliert und fast weich wie der eines Flügelhorns.

 

Unangestrengt ist auch ein gutes Attribut für die Musik. Wie gesagt, nicht alle Stücke sind Balladen. Drei Titel gehen auf die Kappe des Leaders: das schnelle Lotus Blossom (ursprünglich auf Dorhams Riverside-Album Two Horns/Two Rhythm veröffentlicht) und die beiden Mid-Tempo-Blues Blue Friday und Blue Spring Shuffle. Dorham wusste, wie man Melodien schreibt, oft mit Moll-Einschlag, die beim Hören hängenbleiben. Auch Mack the Knife bewegt sich in mittlerem Tempo.

 

Die restlichen vier Stücke sind dann tatsächlich Balladen, aber erstens besitzen auch sie (wie My Ideal und Alone Together) starke, einprägsame Melodien, zweitens sorgt ihre Verteilung über beide Plattenseiten dafür, dass dem Album nie die Luft ausgeht.

 

Dass Dorham sich hier das Rampenlicht nicht mit einem zweiten Bläser teilen muss, tut der Musik gut. Er war mit seinem schon angesprochenen wunderbaren Ton ein Balladeninterpret, dem man gerne zuhört. Ein weiterer Bläser hätte die zauberhafte Atmosphäre des Albums durch unbedachte Töne empfindlich stören können. Mit Tommy Flanagan jedoch hatte Dorham jemanden gefunden, der perfekt zur Session passte, weil er wirklich im gleichen schöpferischen Geist stand: Auf Alone Together etwa trägt Flanagan das Horn von Dorham beinahe zärtlich auf einem Kissen von hingetupften Akkorden. Und wenn er mal ein Solo spielt, begnügt er sich mit wenigen sparsamen Chorussen, die niemals dick auftragen. Auch die Rhythmusgruppe hält sich angenehm zurück und sorgt dafür, dass die Temperatur der Session niemals ungebührlich steigt.

 

Quiet Kenny ist eine Platte, die man zwar immer hören kann, die aber mit ihrer entspannten Unaufdringlichkeit besonders gut zum letzten Glas gegen Mitternacht passt. Kein Aufreger, eher stark entschleunigend. Auf leise Art nahe an der Perfektion.

 

Musik: ****1/2

 

Sound: Schöne RvG-Aufnahme, den zeitgenössischen Blue Notes klanglich ebenbürtig.

 

Verfügbarkeit: Ende 2025 in verschiedenen Ausgaben erhältlich – günstig von Public Domain (allerdings mit einem schrecklichen Cover) bis zur teuren, aber exquisiten Analogue Productions. 

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