Ernie Henry – Seven Standards And A Blues
Riverside RLP 12-248, 09/1957, Engineer: Jack Higgins, Producers: Bill Grauer, Orrin Keepnews
Ernie Henry – as; Wynton Kelly – p; Wilbur Ware – b; Philly Joe Jones – ds
Side A:
1) I Get A Kick Out Of You
2) My Ideal
3) I’ve Got The World On A String
4) Sweet Lorraine
Side B:
1) Soon
2) Lover Man
3) Specific Gravity
4) Like Someone In Love
Nachdem er mit Presenting Ernie Henry auf Riverside seine erste Aufnahme als Leader eingespielt hatte, ging Ernie Henry gut ein Jahr später noch einmal für das Label ins Studio um die Platte aufzunehmen, die seine letzte werden sollte. Durfte sich Henry bei seinem Debüt als Saxofonist und Komponist präsentieren, so ist er hier vor allem als Interpret von Standards zu hören.
Folgerichtig ist er auf Seven Standards And A Blues der einzige Bläser. Von der ersten Session sind Wynton Kelly am Piano und Bassist Wilbur Ware wieder dabei, am Schlagzeug hat Art Taylor seinen Platz geräumt für Philly Joe Jones, den damaligen Drummer von Miles Davis.
Seven Standards ist die Sorte von Session, die Leute wie Kelly, Ware und Jones im Schlaf spielen konnten, entsprechend locker und routiniert geht es hier auch zur Sache. Zeigt I Get A Kick Out Of You mit seinem Latin-Beat zu Beginn und Ende noch den Ansatz eines Arrangements, so bieten die anderen Stücke nicht viel mehr als Plattformen, von denen Henry und, auf den meisten Stücken, Kelly ihre Improvisationen starten können.
Wenn Keepnews und Grauer eine Platte wollten, die nirgendwo aneckt, niemals provoziert und eine breite Gruppe von Hörern anspricht, dann dürften sie ihr Ziel erreicht haben. Aber ansprechen und mitreißen sind nicht dasselbe. Für mich ist die Dramaturgie der Platte auf Dauer doch etwas eintönig. Einzig I Get A Kick Out Of You zu Beginn wird zügig angegangen, danach bewegen sich die Stücke überwiegend in mittlerem Tempo, mal etwas schneller, mal ein wenig langsamer. Nach der Vorstellung des Themas bläst stets Henry das erste Solo, Kelly folgt, und in der Regel geht es dann zurück zum Thema; ganz sporadisch kommen auch Wilbur Ware und Philly Joe Jones zu Wort. Wenn Soon, der Opener von Seite 2, am Anfang mit einigen kräftigeren Klavierakkorden daherkommt, wirkt das fast, als wolle sich die Band selbst kurz wachrütteln.
Das heißt aber nicht, dass die Scheibe keine liebenswerte Seiten hätte, die hat sie nämlich durchaus. Nehmen wir Beispiele von Seite 2: Lover Man, mit zurückhaltendem Gestus und lyrischem Ton gespielt, kommt wirklich schnell auf den Punkt. Keine drei Minuten lang, aber die reichen für ein kleines, versonnenes Solo von Henry. Auch der Blues Specific Gravity geht in eine ähnliche Richtung. Low down, ja, aber zu zivilisiert, um wirklich dreckig zu sein. Dennoch hört man nicht ungern zu, besonders Kelly schüttelt mit beiläufiger Eleganz seine kleinen bluesigen Phrasen aus dem Handgelenk. Und ganz zum Schluss zieht die Platte auf Like Someone In Love sogar das Tempo noch einmal moderat an. Für echte Spannung ist es da allerdings schon zu spät, selbst wenn das Drehbuch leicht variiert wird: Nach Henry und Kelly darf nämlich auch Philly Joe Jones für ein paar Takte ins Rampenlicht.
Ein wenig bedauern kann man es schon, dass Riverside sich beim Repertoire der zweiten und, wie wir heute wissen, letzten Aufnahme von Ernie Henry nicht risikofreudiger zeigte. Die Auswahl der Standards ist derart wohltemperiert und konfliktscheu, dass die ebenfalls schon recht zahme Presenting Ernie Henry im Vergleich fast aufregend wirkt. Die meisten Titel passieren den Hörer in einem locker-smoothen Mid-Tempo Flow, der nie zu Turbulenzen neigt, aber nur selten wirklich fesselt. So bleibt nach den knapp 40 Minuten Spielzeit des Albums einerseits die Erkenntnis, dass man keine unangenehme Zeit hatte, aber andererseits auch die Frage, ob hier nicht mehr möglich gewesen wäre.
Musik: ***1/2
Sound: Mono. Der Klang ist etwas klarer als bei Presenting Ernie Henry, hat aber noch immer nicht die Präsenz einer guten van-Gelder-Aufnahme, besonders bei Bass und Schlagzeug.
Verfügbarkeit: Ende 2025 etwas schwierig. Meine Riverside-Ausgabe (OJC) gibt es gebraucht ab ca.25€. Auch Seven Standards wurde vor ein paar Jahren von Jazz Workshop reanimiert und ist hier und da noch neu zu haben.
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