Harold Vicks – Steppin’ Out
Blue Note ST-84138, Englewood Cliffs, 05/1963, Engineer: Rudy van Gelder, Producer: Alfred Lion
Harold Vick – ts; Blue Mitchell – tp; Grant Green – gtr; John Patton – org; Ben Dixon – ds.
Side A:
1) Our Miss Brooks
2) Trimmed in Blue
3) Laura
Side B:
1) Dotty’s Dream
2) Vicksville
3) Steppin’ Out
Die frühen 60er waren die Zeit der Orgel-Combos, auch bei Blue Note, das durch die frühen Alben von Jimmy Smith den Trend maßgeblich geprägt hatte. Neben Smith nahmen Leute wie Baby Face Willette, Freddie Roach, Larry Young und „Big John“ Patton für das Label Platten als Leader auf. Häufig brachten sie dabei ihre regulären Musiker mit, die sich hundertfach in Clubs bewährt hatten. So erging es auch dem Tenorsaxofonisten Harold Vick, der zunächst als Sideman auf John Pattons Along Came John mitgewirkt hatte. Alfred Lion muss gefallen haben, was er hörte, denn keine acht Wochen später stand Vick erneut im Studio, um Steppin’ Out einzuspielen, seine erste und einzige Aufnahme als Leader für das Label.
Harold Vick hatte sich nach Abschluss eines Psychologie-Studiums für eine Musikerlaufbahn entschieden und zunächst Tenorsaxofon in diversen Rhythm’n’Blues Combos gespielt, bevor er sich 1960 dem Organisten Brother Jack McDuff anschloss. Seitdem hatte er quasi ohne Unterbrechung in ähnlichen Settings gespielt und einen bluesigen, erdigen Saxofonstil entwickelt, der in Clubs gut ankam.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Steppin’ Out ein beinahe klassisches Beispiel ist für den Sound einer Orgel-Combo auf Blue Note in den frühen 60er Jahren. In der Regel haben wir es dabei mit Quartetten aus Tenor, Orgel, Gitarre und Schlagzeug zu tun, die ein blues- und gospellastiges Programm von ungefähr 40 Minuten Länge herunterspielen. Ich habe einige dieser Alben und ehrlich gesagt fällt es auch mir nicht leicht, daraus Favoriten zu wählen, weil sie sich in ihrer musikalischen Dramaturgie und selbst im Ansatz der Solisten doch stark ähneln. Es ging bei diesen Gruppen eben weniger darum, musikalisches Neuland zu entdecken, sondern vornehmlich um Entertainment in Clubs, wo getrunken und gefeiert wurde.
Die Frage ist also, warum man aus dem großen Angebot von 60er Orgel-Jazz ausgerechnet zu Steppin’ Out greifen sollte. Auch wenn die Aufnahme weitgehend die Erwartungen bedient, die man an das Format stellt, gibt es doch mehrere Aspekte, die der Platte ihr eigenes Profil verleihen. Ein für mich wesentlicher Faktor ist die Mitwirkung von Trompeter Blue Mitchell, die der Gruppe eine zusätzliche Dimension verleiht und zeitweise den Hardbop-Geist der späten 50er noch einmal aufleuchten lässt, besonders auf Trimmed in Blue und Dotty’s Dream.
Ein zweiter Grund ist das Material auf Steppin’ Out – es bietet die eine oder andere Überraschung und zeigt, dass Vick hier ernsthaft versucht hat, ein wenig aus dem typischen Orgel-Jazz-Dogma auszubrechen. Fünf der sechs Stücke stammen von ihm: der langsame Blues Our Miss Brooks, das moll-gefärbte Vicksville, das mächtig swingende Titelstück und die oben bereits erwähnten Trimmed in Blue und Dotty’s Dream mit ihrem Hard-Bop-Einschlag. Dazu kommt David Raksins und Johnny Mercers verträumtes Laura, auf dem man Vick als einfühlsamen Balladeninterpreten erleben darf.
Jedes Jazz-Album steht und fällt mit der Form der Solisten und hier gibt’s auf Steppin’ Out nichts zu meckern. Vick hat den bereits erwähnten club-gestählten, robusten Ton auf dem Tenorsaxofon und pflegt einen unaufgeregten Solostil, der, weil er nicht jeden Takt mit den maximal möglichen Noten vollpackt, der erdigen Musik gut steht. Big John Patton konnte mächtig swingen, und das tut er hier, allerdings ohne die Aufnahme ungebührend zu dominieren. Grant Greens Soli sind flüssig wie immer, zeigen aber hier und dort bereits härtere bluesige Kanten. Mein Lieblingsmusiker auf dem Album ist jedoch (wie könnte es auch anders sein) Blue Mitchell, der es irgendwie immer schafft, gleichzeitig zu swingen und der Musik eine schwer fassbare melancholische Essenz beizufügen. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein – aber so oder so: sein Spiel holt mich immer ab und seine Präsenz auf dieser Platte hebt sie für mich aus dem, vorsichtig formuliert, reichhaltigen Angebot zeitgenössischer Einspielungen von orgel-basierten Soul-Jazz-Combos heraus. Vier Sterne hätte die launig swingende Scheibe ohnehin verdient; Freunde von Mitchell dürfen einen halben Stern addieren.
Musik: ****(1/2)
Sound: Gut ausbalanciert, Rudy van Gelder eben. Makelloses Mastering durch Kevin Gray.
Verfügbarkeit: Okay im Herbst 2025, aber teuer, da Teil der Tone Poet Series.
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