Jackie McLean – Bluesnik
Blue Note BST-84067; 01/61; Engineer: Rudy van Gelder; Producer: Alfred Lion
Jackie McLean – as; Freddie Hubbard – tp; Kenny Drew – p; Doug Watkins – b; Pete La Roca – ds.
Side A:
1) Bluesnik
2) Goin’ Way Blues
3) Drew’s Blues
Side B:
1) Cool Green
2) Blues Function
3) Torchin’
Es ist manchmal gar nicht so einfach, verschiedene Bläser im Jazz am Ton zu identifizieren. Kann ich sofort und zweifelsfrei sagen, ob gerade Junior Cook oder Tina Brooks soliert, oder ob auf einer Ballade Ben Webster oder Coleman Hawkins zu hören ist? Mit ein bisschen Übung vielleicht – aber ich würde darauf nicht mein Haus verwetten. Nicht so bei Jackie McLean: Er klingt auf seinem Altsax wie kein anderer. Im Vergleich zu jemandem wie Paul Desmond, dessen federleichter Ton und elegante Soli mich an eine laue Sommerbrise erinnern, bläst McLean den Hörer an wie ein kalter Herbstwind. Kein runder, polierter Ton, sondern einer, der kratzt, beißt und dadurch sehr direkt wirkt. Nicht wirklich schön, aber mit hohem Wiedererkennungswert. (Er sagte einmal in einem Interview, er spiele stets etwas „sharp“, also minimal zu hoch – daher dieser spezielle Ton.) Auch seine Soli haben nichts Leichtfüßiges: Sie rasen und toben durch die Changes, als sei er auf der Flucht oder auf permanenter, ruheloser Suche.
Im Januar 1961 ging McLean für Blue Note ins Studio, um mit einem Quintett Bluesnik einzuspielen – sein sechstes Album für Blue Note und nominell ein Blues-Date. Man muss nicht zwingend etwas gegen Blues haben, um sich zu fragen, ob das gut gehen kann: ob man sich eine ganze Scheibe lang durch diverse Spielarten des Blues nudeln kann, ohne dem Hörer eine Überdosis zu verpassen. Aber ja, es geht gut: Bluesnik ist eine der stärkeren Scheiben in McLeans Kanon, zumal hier der Begriff nicht ganz so eng gefasst wird. Die Stücke mögen vom Blues durchtränkt sein – formal lassen zumindest einige aber das 12-taktige Blues-Schema hinter sich.
Rückblickend erscheint Bluesnik wie eines der letzten großen Hard-Bop-Statements von McLean; gut ein Jahr später brach er mit einer Gruppe von jüngeren Freigeistern aus dem Stall von Blue Note auf Alben wie Let Freedom Ring in freiere Gefilde auf. Wie bei Blue Note üblich, steht ihm hier eine äußerst session-gestählte Crew zur Seite. Neben der großen jungen Trompetenhoffnung Freddie Hubbard gibt es Kenny Drew am Piano, Doug Watkins am Bass und Pete LaRoca am Schlagzeug. Was die Soli betrifft, sind Leader McLean und der feurige Hubbard die Stars: McLean besticht mit seiner Intensität, Hubbard mit seiner Power und phänomenalen Technik. Drew kommt auch zu Wort, hält sich jedoch angenehm bescheiden zurück. Kompositorisch allerdings prägt er das Album, denn drei der sechs Stücke (und meiner Meinung nach die stärksten) stammen von ihm: Drew’s Blues, Cool Green und Torchin’. Drew’s Blues ist ein Kuriosum – ein Blues, der erst einmal ziemlich unbluesig klingt. Die eingängige Melodie lässt beim oberflächlichen Hören eigentlich keine Gedanken an Blues aufkommen; die stellen sich erst beim konzentrierten Hinhören ein. Cool Green, mein Lieblingstitel auf der Platte, steckt voller unerwarteter Wendungen und hat genug Ideen für mehrere Stücke. Von McLean stammen der schnelle, aber etwas simple Swinger Bluesnik (der dennoch Laune macht) und der gemächliche Goin’ ’Way Blues. Hubbard steuert das moll-gefärbte Blues Function bei. Diese beiden sind die traditionellsten Blues der Platte. Nicht unbedingt Füllmaterial – dafür sind die Musiker in zu guter Form –, aber nach zwei langsameren Blues ist die Aufnahmekapazität des Hörers für diese Form in ihrer strengsten Orthodoxie dann auch erschöpft. Dennoch, unterm Strich gibt’s auf Bluesnik viele Highlights und keinen echten Durchhänger. In dieser Balance liegt vielleicht sogar die Stärke des Albums: Die Verwurzelung im Blues macht Bluesnik zugänglich, seine experimentierfreudigen Momente belohnen wiederholtes Hören.
Musik: ****1/2
Sound: gut, klassischer Rudy van Gelder mit lebensechten, dynamisch klingenden Bläsern.
Verfügbarkeit auf Vinyl: im Sommer 2025 gut als Teil von Blue Notes Classic Vinyl Series.
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