Miles Davis Sextet & Quintet - Walkin'

Veröffentlicht am 22. September 2025 um 23:37

Miles Davis Sextet & Quintet – Walkin’

Prestige LP 7076; 04/1954, Engineer: Rudy van Gelder, Producer: Bob Weinstock

Miles Davis – tp; J.J. Johnson – tb; Lucky Thompson – ts, Davey Schildkraut – as; Horace Silver – p; Percy Heath – b; Kenny Clarke – ds.

 

Side A: 

1) Walkin’ 

2) Blue ‘n’ Boogie 

 

Side B:

1) Solar

2) You Don’t Know What Love Is

3) Love Me Or Leave Me

 

Heute ist Walkin’ legendär, besonders die erste Seite. Aber eigentlich war das Album in dieser Form nie geplant. Im April 1954 war Miles Davis zweimal im Studio, Anfang des Monats mit einem Quintett, Ende des Monats mit einem Sextett. Beiden Sessions gemein (und sicherlich mit ein Grund, warum die Aufnahmen ohne Reibungsverluste auf einem Album koexistieren können) war die Rhythmusgruppe. Heath und Clarke kannten sich vom Modern Jazz Quartet und verstanden sich blind, Jazz Messenger Silver spielte einen damals sehr angesagten „funky“ Stil, mit dem er als Begleiter die Solisten vor sich her trieb. Erdiger, bluesiger und, vor allem, zugänglicher als der oft sperrige, harmonisch anspruchsvolle Bebop, Jazz für die Jukebox. Im Jahr 1957 wurden die beiden Aufnahmen gemeinsam im 12“-Format veröffentlicht und zu einem Klassiker des Hard Bop.

 

Seite 1 präsentiert das Sextett mit zwei langen Blues, dem riffbasierten, gockelhaft-selbstbewussten Titelstück Walkin’ und Dizzy Gillespies hochoktanigem Burner Blue’n’ Boogie. Beide Themen sind eingänglich (Walkin’ kannst du nach einmaligem Hören mitsingen), aber es sind die Soli aller Beteiligten, die die Session auf den Hardbop-Olymp katapultieren. Davis ist kontrolliert und sparsam, Johnson beweglich auf der Posaune und stilistisch ähnlich (keine Note zu viel), Thompson spielt mit rundem Ton und elastischer Phrasierung. Sein Solo auf Walkin’ ist lang, aber nie beliebig. Auch Silver bekommt zwei Chorusse; zurückhaltend, doch voller kleiner bluesiger Motive, was der Musik gut steht. Blue’n’Boogie bietet dieselbe Medizin, durch das hohe Tempo aber kräftiger dosiert. Die Bläser sind großartig und Silver darf auf neun Chorussen die Funksau rauslassen. Ein monumentales Stück!

 

Seite 2 geht gemächlicher zu Werke, ist aber keinen Deut weniger befriedigend. Thompson und Johnson müssen Platz machen für Davey Schildkraut, einen heute unbekannten „Ornithologen“ (Ira Gitler in den Liner Notes) am Altsax. Fun Fact für musikhistorische Nerds – Miles dämpft hier erstmals auf Platte sein Horn mit einem Harmon Plunger, was später so etwas wie seine Klangsignatur werden sollte. Der introvertierteren Musik steht dieser Ton gut. Solar ist ein melancholisches Original von Davis, You Don’t Know... ein klassischer Schmachtfetzen und auch das schnellste Stück auf Seite 2, Love Me Or Leave Me, köchelt mehr als es siedet. Miles liefert durchweg konzentrierte, fettfreie Soli ohne Bebop-Phrasen, Silver zeigt als Begleiter und Solist, wieso Alfred Lion von Blue Note so sehr auf ihn setzte. Auch Ornithologe Schildkraut kann mit schlackenlosen Beiträgen für sich einnehmen. Seltsam, dass er nach dieser Session komplett verstummte – auf Spotify ist er lediglich als „Dave Schildkraut“ mit vier Stücken vertreten: den Aufnahmen vom 3. April 1954.

 

Musik: ***** Unverzichtbar!

 

Sound: Historisch, aber absolut annehmbar, frühe van-Gelder-Session. RvG sollte seine Kunst noch perfektionieren, aber eine Jazz-Combo aufnehmen konnte er bereits 1954.

 

Verfügbarkeit auf Vinyl: Gut im Sommer 2025. Die OJC-Reihe von Craft Recordings ist teuer, aber qualitativ unschlagbar. Ärmere sind mit der Ausgabe auf JazzWax gut bedient. Kann klanglich mit der knapp doppelt so teuren OJC nicht mithalten, ist aber gut gemacht und bietet I’ll Remember April von der Quintett-Session als Bonustrack. Somit essenziell für Schildkraut-Komplettisten ;-)

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