George Braith - Extension

Veröffentlicht am 22. September 2025 um 23:38

George Braith – Extension

Blue Note ST-84171, Hackensack, 03/1964, Engineer: Rudy van Gelder, Producer: Alfred Lion

George Braith – ts, as, ss; Grant Green - gtr; Billy Gardner – org; Clarence Johnston – ds.

 

Side A:                                   Side B:

1) Nut City                             1) Extension

2) Ethlyn’s Love                    2) Sweetville

3) Out Here                           3) Ev’ry Time We Say Goodbye

 

In den Annalen von Blue Note ist der Saxofonist George Braith am Ende nicht mehr als eine interessante Fußnote. Extension ist sein drittes und letztes Album für das Label. Aufgenommen wurde es im März 1964, veröffentlicht aber erst 1967.

 

Extension war kommerziell wenig erfolgreich, obwohl es zur damaligen Zeit eigentlich gut ins Programm von Blue Note passte. Es bietet Orgel-Jazz mit Saxofon – zwar weniger erdig als etwa bei Jimmy Smith und Stanley Turrentine und deshalb vielleicht nicht ganz so eingängig, aber auch nicht so komplex und einschüchternd wie Larry Youngs Unity.

 

Im Gegensatz zu einem Saxofonisten wie Turrentine, der stets beim Hard Bop blieb, flirtet George Braith mit modalem Jazz und wagt sich sogar, wenn er auf zwei Hörnern gleichzeitig spielt, in die Grenzbereiche der Avantgarde. Anfangs wirkt das wie eine wenig originelle Zirkusnummer, Roland Kirk hatte so etwas schon Jahre zuvor bei Mingus gemacht. Aber, soviel vorweg, man sollte am Ball bleiben. Das Album belohnt Beharrlichkeit.

 

Dabei stand die Platte von Beginn an unter keinem guten Stern. In den Liner Notes beschreibt Joe Goldberg, wie Braiths Saxofone in der Woche vor den Aufnahmen aus seinem Auto gestohlen wurden; er spielte die Session auf geliehenen Instrumenten. Dann erkrankte Braiths etatmäßiger Drummer, Clarence Johnston sprang kurzfristig ein. Das Erstaunliche: Die Band klingt trotz der Widrigkeiten wie aus einem Guss. Braith und Gitarrist Grant Green bilden eine effektive Frontline, deren kontrastierende Klangfarben sich gut ergänzen. Johnston und Organist Billy Gardner begleiten im positiven Sinne zurückhaltend, auf einigen Stücken steuert Gardner mit leichtem Touch uneitle Soli bei.

 

Auf dem Album finden sich fünf Eigenkompositionen des Leaders und als Rausschmeißer gibt es einen Standard – dazu gleich mehr. Braiths Stücke sind etwas kantig und brauchen ein paar Durchgänge, bevor sie ihre Wirkung entfalten. Doch dann freut man sich über ein Album, bei dem sich der Künstler die Mühe gemacht hat, neue Titel beizusteuern, statt uns mit den x-ten Versionen von Lullaby of Birdland oder Autumn Leaves zu langweilen. Braiths Themen gehen weit über simples Blues-Riffing hinaus und weisen stark unterschiedliche Stimmungen auf. Nut City ist ein hitziger Workout im 6/8-Takt mit rauem Saxofonton, Ethlyn’s Love, eine Hommage an Braiths Mutter, eine verträumte Ballade. Extension geht ein wenig in Richtung Soul Jazz, ist aber beim Thema ziemlich sperrig. Dafür geht’s während der Soli in unanstrengenden 4/4 Swing und Grant Green schüttelt ein paar liquide Phrasen aus dem Handgelenk. Sweetville nimmt ein wenig Tempo raus bevor am Ende der oben erwähnte Standard folgt, Cole Porters Gassenhauer Ev’ry Time We Say Goodbye. Auf meinen Platten aus den 60ern finde ich ihn eher selten und wenn, dann garantiert nicht so wie hier: Das Stück jagt in halsbrecherischem Tempo durch die Changes, und Braith spielt ein letztes Solo auf Alt und Tenor gleichzeitig. Witzige Nummer, doch damit endete seine Karriere bei Blue Note.

 

Braith schaffte es nie in die erste Liga des Jazz, aber zumindest auf Extension mag ich sein Spiel. Ich finde es beweglich und zupackend. Er hat einen kräftigen Ton, selbst auf dem Sopran, und Sinn für Dramatik. Nach seinem Abgang von Blue Note spielte er zwei wenig beachtete Alben für Prestige ein, dann verschwand er für viele Jahre von der Bildfläche. In den 1990er- und 2000er-Jahren ging er wieder ins Studio, meistens für das Excellence Label, doch keines seiner neueren Alben ist mir je untergekommen. Auf Spotify lassen sich einige finden, aber im Spätsommer 2025 begeben sich gerade einmal 625 monatliche Hörer in diesen verborgenen Winkel des Jazz. Vielleicht führt ja diese Neuauflage von Extension ein größeres Publikum zu Braith – verdient hätte er es.

 

Nebenbei: eindrucksvolles Cover von Reid Miles.

 

Musik: ****

 

Sound: Überdurchschnittlich, selbst für van Gelder. Mastering durch Kevin Gray ist makellos.

 

Verfügbarkeit: im Moment mal wieder gut als Teil von Blue Notes Classic Vinyl Series.

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.